CHRIS KROISS
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hey there

photo: display of a Nail Studio, Hamburg, 2021 . Chris Kroiss

Welcome to my Blog! 
This is an open experiment. Research on writing. Trial and error, playing games. Thoughts, essays and poems ... 
And every now and then I've an article about art and popculture published. So far at LNR magazine. You can read some of them here. 
I've always written in my mother tongue, German. 
But i think there's going to be bits and pieces in English here. Either way, enjoy! 
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​Batman und Acrylnägel
oder
Warum wir im popkulturellen Hyperexpressionismus angekommen sind

Essay von Chris Kroiss

 
Ich bin etwas spät dran, balanciere einen viertel Liter Cola sowie eine großzügige Packung Popcorn über diverse Knie. Es ist Samstag. Nach 22:00. Der erste Mord ist bereits passiert. Ich lasse mich in meinen Sessel sinken, fühle mich gleichsam angekommen und hingedrückt. Nicht bloß durch die an einen Film Noir erinnernde Szenerie, die gedeckten Farben, sondern auch und vor allem wegen der Filmmusik. Es sind Fragmente von Sounds, puristisch und maximal düster. Und dann diese Fledermaus. Ich bin erleichtert, dass nichts an ihm mehr an den albernen, glitzernden Vampirjungen erinnert. Robert Pattinson trägt in einer der ersten Szenen ein schwarzes T-Shirt, zerzaustes Haar, eine schwarze Sonnenbrille. Ich schaue mir „The Batman“ von Regisseur  Matt Reeves im Kino an. Mit dem glatten Gelfrisuren Bruce Wayne gespielt von Christian Bale in der „Dark-Knight-Trilogie“ (Christopher Nolan, 2005-2012) hat der neue Bruce Wayne sehr wenig zu tun. Der frühere Teenstar sieht über weite Strecken des Films so aus, als ob er sein Leben nicht im Griff und die ganze Nacht im Berghain verbracht hätte. Zum Frühstück dann aber doch ein paar Beeren. Immerhin fordert der Spätkapitalismus einen gesunden, leistungsfähigen Körper. Und die Verbrecher:innen von Gotham City ihren Tribut. „The Batman“ ist in seiner Sprache ein Film der paradigmatisch für das Jahr 2022 steht. Die folgenden Zeilen sind ein Nachdenken über den Zusammenhang gesellschaftlichen Wandels und der Art und Weise wie wir uns Geschichten erzählen. Also bitte einsteigen ins Batmobil. Ein wunderbares Vehikel für eine Reise, auf der wir uns einer kurzen, popkulturelle Analyse gesellschaftspolitischer Auswirkungen auf unsere Bilder, Musik und Stories widmen. Gefolgt von einem Boxenstopp bei brandaktuellen Symbolismen, die mich dazu veranlassen zu behaupten, dass wir in einer hyperexpressiven Zeit leben. Aber mehr dazu später.

Begonnen hat alles 1940. In diesem Jahr erschien der erste Batman,
veröffentlicht im US-amerikanischen Verlag, DC Comics. Der Zeichner von Batman, Bill Finger, war stark beeinflusst vom deutschen Expressionismus sowie dem Film Noir. Über die etwa 80 Jahre in denen die Story vom Verbrecher bekämpfenden nachtaktiven super-rich-kid Bruce Wayne bereits existiert, hat diese immer wieder den Zeitgeist gespiegelt! Die Darstellung des Anti-Helden meanderte im Spannungsfeld gesellschaftlicher Entwicklungen. Der Batman der 60er Jahre etwa (Batman hält die Welt in Atem, 1966) ist witzig, selbstironisch ein wenig  androgyn, ja genderfluid. Es wird der Zeit entsprechend ein Mann gezeigt, der seinen Status auf die Schippe nehmen kann: Immerhin war für die Hippies das Männlichkeitsbild vom pflichterfüllenden, patriotischen Amerikaner ein No-Go. Wenngleich sie selbst wiederum Rollenbilder geschaffen haben, die nicht unbedingt vorteilhaft sind, aber das ist Thema eines anderen Essays. Aus dem Jahr 1973 gibt es einen amerikanischen Werbespot für das „Federal Equal Pay Law“ in dem Batgirl ihren Kameraden Batman sowie dessen Gehilfen Robin nicht von einem Mast losbindet, weil sie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit fordert! Frauenstreik als Comic-Thema. Harley Quinn, ebenfalls Superschurkin aus dem Batman-Universum und ganz groß im 2020 erschienen Film „Birds of Prey - The Emancipation of Harley Quinn“ hätte das sicher unterstützt. Immerhin hat sie, nach der Trennung von ihrem toxischen boyfriend (besser bekannt als: der Joker) ihr Leben aufgeräumt. Sich einen neuen Job gesucht (als noch bösere Superschurkin) und eine neue Clique. Ganz Millennial-Frau eben. Die 00er Jahre ließen in emanzipatorischer Hinsicht ja zu Wünschen übrig und das reflektiert die „Dark Knight Triologie“ von Christopher Nolan. Rachel Dawes , Kindheitsfreundin von Bruce Wayne ist nicht unbedingt ein leuchtendes Beispiel für Eigeninitiative. Der Film wurde zu einer Zeit gemacht, zu der das Wort „Frauenpower“ noch als linguistischer Vorbote geschickt werden musste, wenn ein Film den Bechdel-Test bestand. Also alles prä#metoo. Rachel ist passiv. Sie interessiert sich ausschließlich für die Aufmerksamkeit der Männer, die sie umgeben. Total unrealistische Verhaltensweisen für eine Top-Anwältin. Nachdem ihre Persönlichkeit so nichtssagend ist, stimmt es auch nicht weiter traurig, dass sie im zweiten Teil der Trilogie das Zeitliche segnet. Und das wegen einer Entscheidung, die Batman treffen muss. Was den dunklen Ritter noch rätselhafter und komplexer wirken lässt. Der Klassiker im Superhero-Narrativ also. Eine Frau* stirbt, um einen Helden leiden zu lassen, wodurch sein Heroismus noch heller erstrahlt.

Die tragische Anti-Heldenhaftigkeit des „dark knight“, gespielt von Christian Bale hat praktisch gar nichts mehr zu tun mit dem funny Batman der 1960 Jahre („hand me down the shark resistant spray, Robin!“) Von 2005 bis 2012 wurden die Batman-Filme immer düsterer. Dieser Trend hin zu „Noir light“ in der Popkultur wurde stark durch Christopher Nolans Batman-Vision geprägt. Ein spannender Aspekt am Spiel von Christian Bale ist die moralisierte Skrupellosigkeit, mit der er seine Batmanfigur flirten lässt. Die Fähigkeit der vermeintlich Guten also, das zu tun, was „nötig ist“. Auch dahingehend reflektieren die Filme die Zeit in der sie gezeigt wurden wieder. Die USA befanden sich 2003-2011 im Irakkrieg. Das Thema des „starken Mannes“ (heute würde es toxisch genannt) der tut „was nötig ist“, war ein gesellschaftlich präsentes. Ein Film über einen lustigen Batman Typen der in bunten Kostümen gemeinsam mit seinem Spezi (wienerisch für Freund) ein paar  Gangster jagt, hätte zu der Zeit relevante Fragen nicht aufgegriffen. Popkultur ist immer dann erfolgreich, wenn sie widerspiegelt, was aktuell passiert. Absorbiert und wieder ausspuckt. Und es ist anzunehmen, dass die Macher*innen von Batman immerzu an dem kommerziellen Erfolg der Filme interessiert waren. Was mitunter auch sehr uninspirierend sein kann. Nun gut. Zeit ists den Bogen zurück zu spannen zum neusten Batman. Die Metamorphose von Noir light hin zu Noir hat sich mit „The Batman“ nun komplett vollzogen. Wenn Jungle und später Drum ‚n‘ Bass die Musikrichtungen waren, die in den 90ern eine dystopische, urbane Kulisse im Ohr gebaut haben, dann schafft es Michael Giacchino, Komponist von „The Batman“, diese Kulisse wie ein Zeitumspannendes Netz von Burials „Untrue“ (Album, 2007)  über die Rohheit von Grime in eine düstere Metropole von heute zu spannen. Natürlich eignet sich der Grunge Klassiker „Something in the Way“ von Nirvana perfekt um gleichzeitig einen erdrückend reduzierten Klang aufzubauen und diesen mit der allgegenwärtigen Nostalgie-Liebe im Pop zu verknüpfen. In all dem Unheil, in dieser neuen Metropolis, versucht Millennial-Bruce gespielt von Robert Pattison seinen Weg als Fledermaus zu finden. Wir sehen einen jungen Mann, troubled. Er lernt im Laufe des Films, dass er nicht alles alleine schaffen kann. Dass er Leute um sich braucht. Toxische Männlichkeit ist gecancelt. Die Entwicklung geht hin zum, wie ich es nennen möchte, besorgten Kollektiv. In einer Szene gegen Ende leitet Batman mit einer Fackel in den Händen eine Gruppe Menschen aus einem überfluteten Gebäude. Der Typ, der sich zu Beginn des Films vorstellte mit den Worten „Ich bin Vergeltung“ führt nun Menschen in Not aus braunen und schwarzen Fluten. Schemenhaft ist die Bewegung in den Wellen zu erkennen. Das Licht der Fackel leuchtet hell. Es erinnert mich an ein Gemälde von William Turner. Es ist gewiss kein direktes Zitat, etwa wie die gewollte Edward Hopper Szene, gegen Ende des Films. Als die Polizei den Superschurken „the Riddler“ in einem einsamen, verlassenen Café fasst. Doch ohne tatsächlich zitieren zu wollen hat der Film an vielen Stellen die Qualität expressiver Zeichnung. Ich denke an Werke des Österreichers Klemens Brosch (1894-1926). Auch Alfrend Kubin (1877-1959) sei hier, trotz seiner misogynen Weltanschauung genannt. „The Batman“ entfaltet sich vor dem Auge wie eine Verdammnis bringende Kubin-Landschaft. Selbst die Superschurken haben nichts Witziges mehr an sich. Als Kind konnte ich mich lustig machen über den Pinguin. Wie ernst zu nehmen kann ein Verbrecher sein, der sich nach einem Vogel benennt? Der Pinguin in „The Batman“ ist ein Nachtklub Besitzer, wohl eingebettet in Mafia-Strukturen. Und er sieht zum Fürchten aus. Selbst der Riddler, der früher einmal ein knallgrünes, doch etwas albernes Kostüm getragen hat ist nun ein Social Media nutzendes, psychopathisches Scheusal. Wer noch fehlt ist der Joker. Er hatte in diesem Batman noch keinen Auftritt, aber es ist anzunehmen, dass er im nächsten Film erscheinen wird. Wie wird er wohl aussehen? Während Christopher Nolan dazumals Heath Ledger riet, sich für seine Darstellung des Jokers durch Gemälde von Francis Bacon inspirieren zu lassen, könnte ich mir gut vorstellen, dass Matt Reeves Joker ein wenig aussehen wird, wie „Gwynplaine“. Die Figur „Gwynplaine“ , Protagonist des 1928 erschienene expressiven Films „The Man Who Laughs“ war Inspiration für den originalen DC Comic Joker. Back to the roots. Mit seinem manischen, dunklen Grinsen würde Conrad Veidt gut in den aktuellen Batman passen. Er würde Turnschuhe tragen, das wäre aber das Einzige was man ändern müsste, um ihn an unsere Zeit anzupassen.

Wie kommt es, dass wir in einer derart Expressionismus affinen Zeit leben?
Ich wage zu behaupten, dass wir uns langsam aber sicher alle zu Mini-Expressionisten entwickeln. Dass wir angekommen sind in einer Zeit, die ich den „popkulturellen Hyperexpressionismus“ nenne. Das mag mehrere Gründe haben. Die Hyperbel ist von einem rhetorischen Mittel, um außergewöhnliches Empfinden zu betonen zur sprachlichen Norm geworden. „Ich bin todmüde“ oder „ Dieser Kaffee heut Morgen hat mir das Leben gerettet“ sind Aussagen, die heute niemand mehr besonders findet. Weil jedes alltägliche Erlebnis zu einem besonderen Moment auserkoren werden kann. Das „Besondere“ ist die Norm geworden. Das  Präfix „Hyper“ geistert bereits seit geraumer Zeit durch die Popkultur. Wer nicht danach strebt, sprachlich das maximale Empfinden zu bemühen, wirkt suspekt. Wir drücken uns ständig alle aus! Ständig und überbordend! (Bitte sich an dieser Stelle ein „der Schrei“-Emoji vorzustellen). Hinzukommt der Hang zur Theatralik auf Tik Tok, Instagram und anderen sozialen Medien. Was früher als ein wenig pubertär galt ist heute die Norm. Kafkas „die Verwandlung“ wäre ein wunderbares Thema für ein Reel auf TikTok. Die eigene Sicht, und das Zeigen der eigenen Sehweise. Ja, das die eigene Empfindung das Bild ergibt, das nach Außen projiziert wird. Dass ein Gesicht plötzlich nicht mehr menschlich ist, sondern etwas Tierisches hat. Einem Steppenwolf ähneln die vielen Tierchen-Filter auf Instagram und co wohl kaum  - Aber sind es nicht alles kleine, digital-expressive Porträts?
Eine Überbetonung der Gefühlswelt verknüpft mit einer hemmungslosen Mythologisierung des Selbst und der eigenen Biografie sind Merkmale des Expressionismus. Und Merkmale von Social Media. Hat Edvard Munch und nicht etwa Andy Warhol unsre Zeit vorweggenommen? Nicht zu vergessen ist der reale Schmerz, den die Welt derzeit fühlt. Zwei Jahre Pandemie, unzählige Tote. Krankheit, Leid. Klimakatastrophe. Und ein Krieg. Ein Krieg in der Ukraine. Millennials und Gen Z haben keinen Grund ihre Lieder in Dur zu singen und ihre Bilder in sanfte Farben zu tauchen. Wohntrends rund um beruhigende Türkis und Rose-Töne bilden in ihrer erzwingenden Tranquillité eingetaucht in Lavendel-Duftöl und Wellnessklänge bloß einen hermeneutisch nach außen abgeschotteten Raum. Ein Trend gegen diese rasend, unberechenbar gewordene Welt. Wir bremsen das Batmobil. Wir atmen kurz durch. Es gibt nicht bloß Gegenorte in Form von Ruheoasen. Es gibt auch Ruheorte von denen Rebellion ausgeht. Zeit für unseren Boxenstopp.

Wir parken das Batmobil. Und zwar vor einem Nagelstudio.
Nail Art ist der Trend der letzten Jahre! Keine Frauen* Hand ist sicher vor perfekt manikürten, ultraspitzen, Waffenartig aussehenden Acryl-Nägeln. In all ihren Erscheinungsformen, knallbunt, kunstvoll, simpel oder klassisch haben diese Nägel eines gemeinsam: Sie werden immer länger! In jedem zweiten Musikvideo tauchen die Krallen auf. Pionier:innen des Hyper-Nagels sind Nicki Minaj und Cardi B. Dann kam Billie Eilish. Und jetzt trägt sie praktisch jede*. Auch Selina aka Catwoman in „The Batman“. Selina Kyle ist ganz anders als Rachel Dawes aus „The Dark Knight.“  Selinas Leben ist auch ein bisschen fucked up, genauso Bruces. Die beiden bewegen sich aufeinander zu und wieder voneinander. Bruce will sie beschützen. Ihre Antwort: „Babe, ich kann auf mich selber aufpassen.“ Selina hat genug Probleme am Hals. Sie will zum Beispiel ihren Mafioso-Vater, den Falken, ermorden. Sie kann sich nicht allzu viel mit einem depressiven Typen wie Bruce auseinander setzen. Für Maniküre hat sie bei dem ganzen Stress aber natürlich trotzdem Zeit. Was sich als sehr hilfreich herausstellt! Immerhin zerkratzt sie ihrem Vater, der in einer Szene versucht sie zu erwürgen, mit ihren Krallen das Gesicht. Eine bildliche Metapher. Der 2020 erschiene Song von Cecile Believe „Bitch bites Dog“ wäre hier eine fantastische Wahl gewesen, um das fast schon allegorische Bild, die letzten Todesseufzer des Patriacharts, noch zu unterstreichen.  „On or about 1910 human nature changed. All human relations shifted – those between masters and servants, husbands and wives, parents and children. And when human relations change, there is at the same time a change in religion, conduct, politics and literatur“ schrieb Virgina Woolf 1910 über die Zeit in der sie lebte. Ließt man dieses Zitat heute, klingt es nicht wie die Beschreibung des Expressionismus, sondern wie ein akkurater Kommentar auf unsere Zeit. Und während sich hyperexpressive Symbolismen durch die Popkultur kratzen, stelle ich mir Selina vor, wie sie gemeinsam mit Batman und deren Verbündeten durch eine Alfred-Kubin-Horrorlandschaft sprintet um im Kollektiv die Geister die wir riefen zu jagen. 
                                                                                                                                                                                                             Chris Kroiss
                                                                                                                                                                                                     3.5.2022

​

Victor and Andy

Feeling slightly bitter. But not like a grapefruit more like a shiny piece of day in december. I make food. Spread something on bread. Is it art, to make breakfast for somebody? Nurture and be there? Would I stop painting for that? Maybe I would.
There was people like Victor. Just some guy who tried to copy Andy. Didn’t tons of people try to copy that skinny boy who had difficulties finding friends? I don’t think it’s worth it. It’s just one story being told, mostly. And he would have loved our times. He would have loved it. People being concepts and ideas of something. Stuck in some other time, too strong to fall but too weak to finally move on.
I spread something on bread. It feels good.
14.3.22


​Kolumne.
Schwalbeneier
 
Über Internetstress, den Ku Klux Klan und Soft Girls

Februar 2021
Vor einigen Wochen habe ich meinen Kumpel Paul, er liebt Formel 1, getroffen und der meinte, was ihm echt Angst mache ist der Mob. Seit Jahren ist immer irgendwo ein Mob unterwegs. Ein Mob denkt nicht. Ein Mob fühlt nicht. Er ist in Bewegung.
 ‚Die Rechten sind die besseren Postmodernen‘, schrieb Mark Fisher in seinem Essay „Wie man einen Zombie tötet: Strategien für das Ende des Neoliberalismus“
Rechte finden im Internet wie es heute ist ein ideales Klima um ihre Form der Gewalt zu verbreiten. Die Gesprächsumgebung, die facebook für uns schafft ist extrem limitiert und hierarchisiert. In einem Post gibt jemand ein Thema vor. Die anderen können bloß reagieren. Und da haben sie wiederrum bloß zwei Möglichkeiten. 1. Kommentar 2. Gefühl. Aber hey, du kannst immerhin zwischen unglaublichen 6 verschiedenen menschlichen Emotionen wählen 😉.
Natürlich ist die Form in die Ideologie gegossen wird noch nicht per se befürwortbar oder verwerflich. Ich denke nicht, dass ein Unternehmen wie Twitter beabsichtigt hat als Logistiker für Trumps hate zu fungieren, ihn in jedes noch so entlegene Eck der USA zu transportieren. Allerdings lohnt die Frage wie wir selbst mit diesen Technologien und Umgebungen umgehen.
Reicht es denn, sich linke Ideale oder progressive Ideen an die wall zu schreiben, die Netzwerke bloß mit vermeintlich ‚gutem‘ content zu füllen?
Nein. Es reicht nicht. Und zwar schon lange nicht mehr!
Gleich wie die Anhänger*innen des Operaismus, die Arbeiter*innen im industriellen Norditalien der 60er dazu aufriefen, einfach mal einen Schraubenschlüssel in die Maschinerie einer Fabrik zu werfen, sie damit kurz zum Stillstand zu bringen, so können wir unsere Ideen, so können Künstler*innen ihre Arbeiten und Gedanken ins System werfen um es ein wenig zu sabotieren…
Wie könnte eine künstlerische Haltung da aussehen?
Einer der vielen Gründe warum ich ein Philip Guston fangirl bin, sind seine herausragenden Gemälde der Klansmen. Der Ku Klux Klan hatte in den frühen 20ern des vergangenen Jahrhunderts ein System etabliert, dass zusammengefasst eine Art rassistischer Streamingdienst zu sein gewesen scheint.
Man konnte in jeder amerikanischen Kleinstadt eine Ku Klux Klan Ortsgruppe gründen und Lizenzen kaufen von den Klans-Anführern. Man lieh sich also die Idee samt Kostümen, Comics und Magazinen, sprich das gesamte, rassistische Entertainment-Packet zu einem Fixpreis aus.
Diese Form der Distribution half dem Ku Klux Klan seine rassistischen Ideen in enormer Geschwindigkeit über die USA zu verbreiten. Allerdings ist auch hier wieder die Frage, wie wird so ein Schnellverteilungssystem für Ideen benutzt?
Beyonces Homecoming auf Netflix war für mich, wie für viele junge Frauen* nehme ich an, ähnlich einem Saturday Vollmondbad mit allen Bitches* deines Zirkels. Enorm kraftspendend!
Aber zurück zu Philip Gustons Gemälden. Einige Jahre nachdem der weiße, rassistische Kapuzenmann überall in den USA durch Comics, Illustrationen, Songs usw. kulturell verbreitet worden ist, hat Guston es auf unglaubliche Weise geschafft, diese faschistischen Symbole ihrer Umgebung zu entreißen und sie in seinen Ölgemälden anders zu kontextualisieren. Er hat den Rechten die Macht über ihr Bild genommen!
So etwas wird nicht vielen gelingen, mit Ausnahme der Burschenschaft Hysteria
Aber ganz gleich ob du Künstler*in, Bäcker*in, Anwält*in, Fahrradbot*in oder Politiker*in bist. Du kannst dich immer anders verhalten.
Wer soll heute noch große Statements und leere Worte brauchen?
Was vor allem nötig ist: viel soziale Muskelkraft für den „hill we climb“, wie es Amanda Gorman in ihrem bemerkenswerten Gedicht für Joe Bidens inauguration formulierte.
Ja und was, wenn das Andere, das Radikale, das Aufmüpfige, das Unbekannte, vielleicht sogar das Utopische in den feinsten und progressivsten Formen als etwas daherkommt das wir nicht erwarten? Vielleicht ist es sehr jung und weiblich. Vielleicht ist es pink und unglaublich soft.
Ein Stil im neu entstehenden Universum von Teenager-Identitäten ist der der sogenannten Soft Girls. Ein substyle der e-girls und boys die auf TikTok lustvoll alles ausprobieren, was die Identitätskiste so hergibt und genau damit sukzessive brechen!
Sie malen sich Schmetterlinge an die Wangen, ziehen pinke Klamotten an und im Hintergrund läuft Ariana Grande oder Doja Cat.
Ariana ist das Beispiel für ein Soft Girl. Ihre Lyrics sind allerdings alles andere als zart, etwa aus dem track ‚7 rings‘: ‚been through some bad shit, I should be a sad bitch, who would have thought it tourned me to a savage?‘
Ja, die 27-jährige ist ein sanfter savage. Was natürlich paradox klingt, immerhin lässt sich „to savage something“ übersetzten mit etwas attackieren, etwas anfallen. Dass bei den Soft Girls das eine das andere aber nicht ausschließt wird der spätestens klar, die das Foto der 25-jährigen Rapperin Doja Cat sieht, auf dem sie zuckersüß in einer Art Rasenbikini mit pinken Haaren, Spangen und schleifenverzierten, pinken Handschuhen in einem verzauberten Garten steht. Über ihrem Kopf hält sie, wie ein tödliches Emblem, eine Heckenschere. Was sie wohl damit vor hat …?
Ich feier sie hart für Tracks wie ‚Boss Bitch‘. Du denkst in einer patriarchal geprägten Kultur gibt es keine Solidarität unter Frauen? Educate yourselfe: ‚Best friend‘ von Saweetie und Doja Cat.
Nicht bloß friends machten sich die Ärzte in den 90ern mit ihrem wohl politischsten Song ‚Schrei nach Liebe‘: „Was soll all der Terz? Unterm Lorbeerkranz mit Eicheln weiß ich schlägt ein Herz.“
Zarte savages als Mittel gegen rechten Terz der teerschwer in unseren Netzen hängt?
Ja, das Internet ist ein gestresster, kranker Organismus durch dessen Venen ständig shit stürmt.
Meistens weht die Scheißebrise von rechts, aber Hand aufs Herz, gegen Leute die antifeministischen Gurkensmoothie trinken oder eine nasal sprechende junge Kabarettist*in hat sich schon die ein oder andere zu einem Stürmchen hinreißen lassen, nicht?
Egal ob der Haufen groß oder klein ist. Scheiße ist immer braun. Sorry.
Und bin ich die Einzige, die es ekelhaft findet, dass wir uns tagtäglich in einem sozialen Raum bewegen durch den Scheiße-Stürme wehen?
Warum nicht anstelle dieser soft storms durch unsere Netzwerke ziehen lassen?
Damit zeichnen wir eine Form, die alles umschließt ohne den Stift einmal vom Papier nehmen zu müssen. Wir weigern uns, rechte Strategien und Verrohung als fest integrierten Bestandteil unseres alltäglichen, digitalen miteinander-Sprechens hinzunehmen und vielleicht fühlen wir uns auch selber besser, wenn wir nicht ständig so aufgeregt und angefressen sind.
Trau dich, sei ein sanfter savage!
Und falls das mit dem zart sein gegen Rechts doch nicht aufgeht … Doja hat die Heckenschere.


​Kolumne.
Schwalbeneier

Über Deutschrap, Haftbefehl, Jacques Rancière und wie frau* einen Punk-Zombie töten kann

Mai 2021
Ich höre eigentlich den ganzen Tag Hafti. Beim Kochen, beim Lesen, wenn ich in der S-Bahn unterwegs bin. Für alle Chabos die sich nicht auskennen, mit Hafti meine ich natürlich den Frankfurter Rapper, Haftbefehl. Die ein oder andere frauenfeindliche Passage find ich aber schon grauslich. Was soll ich sagen, ich bin eine Pussy. Spannend ist ja, dass es soweit im deutschen Sprachgebrauch kaum Metaphern, Wortbilder und dergleichen gab, die weibliche Geschlechtsteile und alles was damit in Verbindung steht, als etwas anderes als schwach und unterlegen zeichnen. Das hat sich nun geändert: „Männer wollen Chef sein, doch wenn‘s drauf ankommt, sind ihre Hackfressen blutiger als Tampons“ Welcome LIZ auf der Deutschrap-Bühne! Ebenfalls aus Frankfurt, hat sie, in dieser Tradition stehend, Ende Februar dieses Jahresihr Debüt „BleibeEcht“ veröffentlicht. Und jeder einzelne der 11 Tracks ist ein treffsicherer Schlag in die Fresse. Ob sie wohl Feminist*in ist? You wanna know something... es spielt keine Rolle! Ich möchte das hier gerne klarstellen. Das ist eine dumme Frage. Es gibt Menschen, die behaupten es gäbe keine dummen Fragen, ich widerspreche vehement, denn das ist eine! Und erst wenn jedem einzelnen Mann, der sich in irgendeiner Art künstlerisch betätigt, ganz gleich ob als Musiker, Autor oder Maler diese saudumme Frage gestellt wird und er sich diesbezüglich klar positionieren muss, bevor über seine Arbeit gesprochen wird, werde ich darüber nachdenken, meine Aussage zu revidieren. Ohnehin finde ich, wenn Feminismus bloß eine Positionierungsfrage ist, ist er wertlos. Daher auch das Titelfoto für diesen Text. Das Graffiti hab ich auf einem meiner Streifzüge durch Hamburg entdeckt. Ich finde es witzig. Nicht lang reden, einfach machen! So wie LIZ. Ich träume bereits davon, wie LIZ Single „Mein Geld“, vor ca. 3 Wochen erschienen, zur Hymne für das endgültige Schließen des Gender-Pay-Gaps wird. Nein, Frau Müllergeht heute nicht ins Büro und fragt den Chef lieb ob sie bitte mehr bezahlt bekommt. Frau Müller zitiert LIZ: „Hurensohn, ja du weißt, ich will mein Geld! Pack‘die Packs in die Tasche, Lagerfeld!“ Alles klar soweit? So wie es uns Babo bereits gesagt hat: „Eine gute Tat am Tag ist wichtiger als 1 Buch lesen“. Ja Haftbefehl und seine Azzlackz hustlen nicht nur bös‘ sondern wissen ganz einfach auch, worauf es ankommt! Jacques Rancière sprach bereits über das Problem der „Überfülle an Konsens“: „Konsens ist gerade die vorherbestimmte Übereinstimmung zwischen Subjekten, Orten, Aussageweisen und
Effizienzformen“(In welchen Zeiten leben wir?, 2020, S.72). Und das gilt es zu verlassen, damit sich Widerständigkeit entwickeln kann! Wenn Haftbefehl sich für die Tat ausspricht, dann plädierter für ein Verlassen der geschützten Areale wissenschaftlich-intellektuellen Konsenses und Argumentierens auf Basis sprachlicher Übereinkünfte. Es ist doch absurd, dass wir uns einer Semiotik, die im Kern frauenverachtend, rassistisch und segregierend ist unterordnen, bloß weil sie durch institutionelle Strukturen, durch den „Konsens“ der Mehrheit geschützt wird! Und wenn ich dann vor allem von bürgerlichen Feminist*innen höre, denn aus dieser Ecke kommt die Kritik am häufigsten, Deutschrap sei problematisch, weil er ja so frauenverachtend ist, dann möchte ich gerne fragen, welche Musik sie für „richtig“ befinden? Akademiker*innen hören, wenn Populärmusik eher Indie. Aber der war und ist mindestens so frauenfeindlich wie Rap. Und zwar schon immer! Der einzige Unterschied ist die Sprache. Sie ist in der Alternative Music gewählter, also bürgerlicher.Der Sexismus ist aber der gleiche. Und warum? Weil wir in einer sexistischen Kultur leben. Wieso hat sich nie jemand drüber aufgeregt, dass Morrissey sich selbst bemitleidet, weil seine Freundin im Koma liegt?: „There were times when I couldhave murdered her. But you know, I would hateanything to happen to her“.Kann es einmal darum gehen, was die Frau denkt, fühlt oder will? Thom Yorke schmachtet, „I don’t wanna be your friend, I just wanna be your lover“ und ich habe die Antwort auf mein Problem.Ich liebe TheSmiths und Radiohead, aber ich komme nicht umhin mich zu fragen: Wurde Indie bloß erfunden, damit Männer ein eigenes musikalisches Genre haben,in dem sie sich ausufernd selbstbemitleiden können? Dann lieber Deutschrap! Der ist auch sprachlich interessanter als das allermeiste, was Alternative Musik die, so würde ich meinen, mittlerweile ein bedeutungsloses Schattendasein dahinfristet, zu bieten hat. Deutschrapper*innen widerlegen, dass die „Subalternen“ angeblich nicht sprechen können. Sie sprengen Klassengrenzen, weil sie mit dem was sie tun Elfenbeintürme zu Fall bringen. Sprache zu nutzen, vielfältig, innovativund kreativ, das ist vorwiegend gebildeten Menschen vorbehalten, denkt man. Deutschrapper*innen erfinden am laufenden Band Neologismen. Und verdienen damit mehr Geld als jeder Linguistik-Professor. HAHA! Und Haftbefehl muss dafür noch nicht einmal ein Buch lesen. Klar, den Mut so etwaseinfach zu machen, den hat nicht jede*. Dazu musst du schon ein „Hustla“ sein. Am besten so eine*r wie von Layla besungen. Die Künstler*in bricht selbstverständlich und witzig mit allem was tradierte Gender-Normen so hergeben. Ihr body-und sexpositiver Rap ist„Creamy“. Wem steht „Coco Chanel“am besten? Klar, der Hamburger Rapper*in Haiyti, und zwar nicht bloß auf Ibiza in der einen Villa da, wo unser ehemaliger Sportminister mit seinen Freunden ein paar Wodka-Bull zu viel getrunken hat, nein auch sonst natürlich! Darum würde ihr auch Money BoyChanel-Taschen kaufen, wenn sie will! So oder so hat Haiyti„mehr Drip als Pollock“ und verbindet konsequent Straßenrap mit fine arts. Ich feier sie hart, ebenso wie Nura. Die BossBitch kennt man bereits vomRap-Duo SXTN.Nuras Songs erzählen Geschichten, etwa von Teenager Mädchen die Scheiße bauen und sich selbstbewusst durchsetzen in unserer frauenfeindlichen Welt. Das Video zu „Ich wars nicht“ ist großartig gemacht, genauso wie das zu dem Track „Lola“, einer Sexarbeiter*in, die erklärt, wie sie ihren „Schnapp“ macht und dass sie sich nicht verarschen lässt! „Mein Absatz größer als dein Ego ... “, heißt es in dem Song. Ihr Team, alles wunderschöne Menschen, LGBTQI+. Ihre Leute feiert Nura in praktisch
jedem ihrer Videos. „On fleek“ ist ein großartiges Lied zum Abhängen mit Freund*innen vorm Ausgehen, schaut es euch an! Nura vereint spielend leicht Rap mit Intersektionalität, Body-und SexPositivity. Sie eckt an, zum Beispiel auch mit dem Stück „Niemals Stress mit Bullen“. Es ist rückblickend betrachtet schonein bisschen absurd,dass Deutschrap immer für seine Frauenfeindlichkeit angeprangert wurde. Feministische Kritik ist gut und wichtig, aber sie sollte sich nicht den Wind aus den Segeln und den Schwestern*, mit anderer als weißdeutscher/österreichischer Herkunftsgeschichte und/oder nicht aus derselben „Schicht“ stammend,den Lack von den Nägeln nehmen! Bloß weil eine bestimmte Kunstform nicht verstanden wird! Deutschrapper haben wahrscheinlich mehr zur Emanzipation junger Frauen* aus sogenanntem„bildungs-und kulturfernen“ Milieu, micheingeschlossen, beigetragen, als alle Grünen-Politiker*innen diesielandauf, landabdie vergangenen 10 Jahre in Talkshow Tribunalen als elende Frauenhasser verunglimpft haben, zusammen!Denn all diese Frauen* die im Deutschrap nun vorpreschen stehen auf den Schultern der Jungs die vor ihnen kamen. Ich würde nicht soweit gehen, zu sagen, Sido sei der Kendrick Lamar des Deutschrap, aber er ist ein Guter. Und manchmal,wenn ich Zweifel hatte, ob das was ich will, wirklich geht, weil mir soviele Leute gesagt haben, dass ich es nicht schaffen werde, weil ich ein Mädchen bin, weil ich bloß in der Hauptschule war usw., hab ich Sido gehört und das hat mich bestärkt einfach meinen shit durchzuziehen. Was soll ich sagen, in zwei Wochen mache ichmein Diplom an der Kunsthochschule und soviel kann ich verraten, es wird von mir keinen sublim gemalten Himmel oder zarte Aquarelle zu sehen geben. Für mich ging der Weg nach dem Hauptschulabschluss zum Glück weiter, aber für viele Kids ist da Ende Gelände.Und die Teenager sind wütend. Zurecht!Doch Kinder hört kurz mal auf Erdnussflipsdurchs Klassenzimmer zu werfen und eure Lehrer*innen in den Wahnsinn zu treiben. Stimmt euch ein auf meinen Jubelschrei:
Hurra, Punk ist endlich tot!
Und jetzt Alle! „Das ist kein Deutsch, was ich mache ist Kanackis“.Schon das Intro vom2012 erschienen Album„Kanackis“ des Räubermusik-Machers ist Gewalt-triefend und schwer zu ertragen,genauso wie das Plattencover. Diesesbringt die Brutalität von Schule auf den Punkt. Was darauf zu sehen ist? Ein Lehrer, als Teil eines segregierenden Systems. Eine Glatze. teenage angst. Die Kinder mit anderer als weißdeutscher Herkunftsgeschichte sitzen in der letzten Reihe, ganz hinten in der Klasse. Die Ästhetik erinnert an Punk Bandswie etwa „The Exploited“. Das ist übrigensnicht die einzige, zu erkennende Punkanleihe im Deutschrap. Die Gewehrsalven auf LIZ Intro oder das Spucken im Song „Dynamit“ erinnert an das Marschierender Soldaten in dem Stück„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, der Hamburger Punkband Slime aus dem Jahre 1994.Und spätestens seit Sido sich die Stimme von Rio Reiser lieh um den Ton Steine Scherben Klassiker „Wir müssen hier raus“ zu reinterpretieren, dürfte klar sein, Deutschrap ist in der Ontologie antibürgerlicher Musik zu verstehen. Wie LIZ sich inszeniert, die Schwarzweiß-Fotos in der trostlosen Vorstadt, lässt michunweigerlich an den jungen Ian Curtis im Manchesterder 80er Jahre denken. An Joy Division, diese abgemagerten Jungsaus der Arbeiterschichtin ihren schwarzen Mänteln. Und vielleicht schließt sich hier der Kreis. Vielleicht wird der depressive Junge, der im Mark Fisher`schen Sinne sein Ende fand mit Joy Division nun ersetzt durch die schlagende Frau. Durch eine Wut von Frauen, die nichts mehr zu tun hat, mit der pathologisierten, oft lächerlich überzogenenForm kultureller Repräsentation, die wir zu gut aus Filmen, Musik und Büchern kennen. Und vielleichtwird dem grauenhaften Punk-Zombie, elend, alt, fett und bürgerlich geworden, der seit Jahren bloß noch als erbärmliche Attitüdedurch Pop und bildende Kunst schlurft, nun endgültigder Todesstoß versetzt.Will mit all meinen Bitches*tanzen auf dem Grab von diesem Lappen. Am besten irgendwo, wo das Wetter warm ist...auf einer spanischen Insel... in einer Villa... mit ein bisschen Wodka. Und bis dahin-einfach weiter S-Bahn fahren, Deutschrap hören.

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​Kolumne.
Schwalbeneier
 
Über "Emily in Paris", Sofonisba Anguissola und die kulturelle Darstellung von Karrierefrauen
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März 2021
Wo ich hingefahren bin? In den Norden. Die Deutschen haben eine Schwäche für Hundertwasser Bahnhöfe. Das ist aber auch schon die einzige qualifizierte Beobachtung kulturellen Gebarens, die ich soweit machen konnte. Ich lasse mich nicht zu assumptions hinreißen! Immerhin befinde ich mich, jetzt wo ich das hier tippe (noch) in der Post-Einreise-Quarantäne. Mehr als aus dem Fenster zu schauen und zu sehen – AHA! Deutsche gehen am Gehsteig (heißt das hier Bürgersteig?) kann ich nicht.
Der Himmel hier ist auch nicht kälter als anderswo. Mein Herz ist heiß. Wien, Bitch du weißt, ich liebe dich, ich werde dich vermissen! Dennoch bist du nicht die Einzige über die ich nachgedacht habe, auf der Zugreise hierher, die mich, so fern ich mich recht erinnere, durch Orte wie Bretzenheim oder Flunder führte. Als typisches Millennial-Mädchen, hab ich meist natürlich nicht aus dem Fenster sondern auf mein Smart Phone geschaut und beim gelangweilten Klicken und Herunterscrollen bin ich über etwas gestolpert, das meine Aufmerksamkeit kurz bündeln konnte. Offensichtlich scheint es ein Ding zu sein, die Netflix Serie „Emily in Paris“ zu hassen.
Wie können Leute zu einer romantischen Comedyserie so starke Gefühle haben? Immerhin scheint für Unzählige die Produktion von youtube-Videos, Artikel und Blogbeiträge nötig gewesen zu sein um den Unmut, den die Serie ausgelöst hat, kundzutun. Ich habe im Zusammenhang mit der Serie das erste Mal den Begriff „Hate-Watching“ gelesen. Wow! Welcome back to the 50ies, wo wir es hassen erfolgreichen Frauen zuzusehen!
Für alle, die „Emily in Paris“ nicht kennen, kurz zum Plot der für mehrere Golden Globes nominierten Serie: Emily, ist ein ‚american girl‘, das aus beruflichen Gründen nach Paris fährt. Sie spricht kaum Französisch und auch in anderen Bereichen des Lebens ist sie keine Spezialist*in. Sie trägt ultrasüße Outfits, die nicht unbedingt dazu beitragen, von ihrem Arbeitsumfeld als professionell eingestuft zu werden. Dennoch behält sie ihre gute Laune, sie hat Spaß und setzt sich spielend leicht überall durch. Sie kriegt alles was sie will! Schwer vorzustellen? Erinnere dich an deine Schulzeit. Emily ist wie das Mädchen aus deiner Klasse, das alle Jungs abkriegt und Einser in Mathe und Physik schreibt. Du weißt nicht wie sie es macht, aber sie machte es! Ist sie eine Hure? Ja, weil sie alle Jungs abkriegt. Ist sie eine Heilige? Auch, weil sie der Klassenstreber ist. Hey, Moment mal … die hält sich nicht an die Regeln!
Wenn sich Frauen* dem patriarchal dichotomen Blick von Hure/Heilige widersetzen, dann irritiert das. Nicht bloß Männer*, sondern auch andere Frauen*. Wir haben gelernt die Beine still zu halten und uns einzuordnen.
Menschen, die sich Kategorisierungen entziehen lösen in uns Unbehagen aus.
Nachdem wir „in the new Biedermeier“ leben sind wirs gewohnt uns ständig gegenseitig sozialen Kontrollen zu unterziehen, uns gegenseitig zu labeln. Wenn wir jemanden sehen, bei dem das nicht klappt sind wir vielleicht fasziniert (ein Grund warum die Serie so erfolgreich ist?) aber auch irritiert und verärgert! Und nachdem sich die Menschen ihres Snobismus, verknüpft Misogynie in den meisten Fällen nicht bewusst sind, schieben sie für ihre Abneigung gegenüber der Serie so Bullshit Argumente vor wie „Emily verbringt Zeit in Paris und isst Croissants. Das ist so rassistisch!“ Ernsthaft? Ich warte auf den Shitstorm gegen das Marketing des Fremdenverkehrswesen Frankreichs...
Und nein, besonders an diesen Diskussionen rund um „Emily in Paris“ finde ich nicht den mansplainenden Morast, in dem jede Story um eine junge, kluge, gutaussehende Frau* zu versinken droht. Gespräche die in Pimmelsuppe dahindümpeln haben mich ohnehin immer schon gelangweilt. Besides, nur die radikalsten Frauen* schwimmen im Schwebeähnlichen Zustand wie Fettaugen auf diesen Suppen. Und das Beste an einer Suppe, das weiß doch jede*r, sind immer die Fettaugen.
Tatsächlich interessant an der Debatte um die Netflix-Serie ist allerdings die Problematik des vermeintlichen, bürgerlichen Feminismus. Die dadurch zutage tritt. Der Fokus ist falsch! Bürgerlicher Feminismus interessiert sich nicht für die Rechte von Sexarbeiter*innen, oder dafür, dass Women* of Colour tagtäglich diskriminiert werden oder die Schwierigkeiten von Frauen* die keinen abled body haben. Bürgerlicher Feminismus bürstet sich einmal wöchentlich mit ayurvedischem Cellulite Öl den Arsch, und tut so als ob das body positivity wäre. Bürgerlicher Feminismus ärgert sich über Serien wie „Emily in Paris“. Und tut so als ob das relevant wäre! Die Serie sei ein Paradebeispiel für „fehlenden Feminismus“ habe ich vielerorts gelesen. Tatsächlich? Sich leidenschaftlich und hasserfüllt in Rage zu schreiben gegen die junge Protagonist*in einer RomCom Serie, die Art wie sie spricht und sich kleidet IST ein Paradebeispiel für fehlenden Feminismus!
Es gab immer schon Geschichten von Frauen* die jenseits von Kategorien lebten und sehr erfolgreich waren. In welchen Zeiten leben wir eigentlich, dass das alle so aufregt? Das ist doch keine Neuheit! Ein absoluter Superstar ist, nicht bloß für mich, die italienische Renaissance Maler*in Sofonisba Anguissola. Geboren 1531, Zeit ihres Lebens gefeierte Künstler*in. Sie arbeitete am spanischen Königshof, korrespondierte mit Leuten wie Michelangelo. Ich liebe die Darstellung von Mädchen in ihren Gemälden. Die verschmitzten, wachen Blicke etwa in dem Bild „Drei Schwestern beim Schachspiel“. Sie heiratete auf Geheiß des spanischen Königs einen Sizilianer, nach dessen Tod lernte sie auf einer Reise einen Genuesen kennen, mit dem sie dann unerlaubt abhaute. Sie begann Malunterricht zu geben. Der junge Rubens musste ihre Bilder kopieren, van Dyck besuchte sie.
Aber ganz gleich, ob es um die fiktive popkulturelle Darstellung weiblichen Erfolgs geht, oder um die reale Lebensgeschichte einer Renaissance-Karrierefrau. Erfolgreiche Frauen polarisieren.
Sofonisba wurde aus der Kunstgeschichte rausgeschrieben, Emily hat immerhin bloß einen Shitstorm kassiert. Zugrunde liegt das gleiche Problem. In einer patriarchalen Gesellschaft darf es keine Frau geben, die alles kriegt was sie will.
Folglich dürfen Geschichten über solche Frauen* nicht erzählt werden. Wir haben diese Grundsätze so verinnerlicht, dass in einer derartigen Kultur auch kaum Solidarität unter Frauen* möglich ist. Verbundenheit wird weder in die eine Richtung gefühlt, dass einer erfolgreichen, gutaussehenden, witzigen Frau* eben ihr Erfolg gegönnt wird, noch in die andere, dass sich Frauen* stark machen für andre Frauen* die nicht auf der Butterseite gelandet sind.
Ich persönlich habe mich über jeden beruflichen Erfolg von Emily gefreut. Ich habe gelacht über ihre Dreistigkeit und ihr jeden Mann den sie abgeschleppt hat, gegönnt. Die Serie macht Spaß. So wie ‚Sex and the City‘ schon Spaß gemacht hat. Mehr gibts dazu eigentlich nicht zu sagen.

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